Thermische Seewassernutzung in Deutschland

von Dr. Henriette Kammer

Wärmepumpen nutzen hauptsächlich Umweltwärme aus dem Erdreich, der Luft oder dem Grundwasser, um Gebäude zu heizen. Die Wärmequelle Oberflächengewässer, speziell des Seewassers, wird bisher in Deutschland kaum genutzt, obwohl entsprechende Anlagen gerade in der Schweiz schon viele Jahre gewinnbringend eingesetzt werden. Deutlich wird dies besonders am Bodensee. Während auf deutscher Seite das Seewasser ausschließlich zu Kühlzwecken eingesetzt wird, wird auf Schweizer Seite auch die Wärme des Seewassers mittels Wärmepumpe genutzt.

Dies wurde nun in einer Dissertation an der Universität Würzburg in Kooperation mit der Hochschule Konstanz untersucht. Denn gerade durch das hohe Tourismusaufkommen und die nötige Tourismusinfrastruktur, wie Hotels, Bäder oder Einkaufszentren, besteht an Seen auch ein großer Wärme- und Kältebedarf. Da Seen große Wärme- und Kältequellen sind, könnte der Bedarf teilweise durch den Einsatz von seewasserbetriebenen Wärmepumpen (WPSee) gedeckt werden, wodurch wiederum gegenüber fossilen Wärmetechnologien Treibhausgase reduziert werden können.

Vorgehen:

In der Dissertation wurde zum einen untersucht, welche Hemmnisse in Deutschland gegen-über der Technologie bestehen, zum anderen wurde das Potential von WPSee an deutschen Seen analysiert. Die komplexen Fragestellungen konnten mit Hilfe einer Methodenkombination interdisziplinär betrachtet werden. Es folgt die Aufzählung und die Beschreibung aller durchgeführten Analysen:
- Qualitative Experteninterviews: Es wurden 15 Experten sowohl aus Deutschland als auch aus der Schweiz befragt. Um eine möglichst vollständige Erfassung der potentiellen Hemmnisse zu gewährleisten wurden Experten aus den Bereichen „Wissenschaftler“, „Wasserbehörden“, „Hersteller von Wärmepumpen und Kollektoren“ und „Planer, Architekten und Betreiber“ ausgewählt. Die Befragung wurde anhand eines halbstrukturierten Leitfadeninterviews durchgeführt und mit der Software MAXQDA ausgewertet.

  • Quantitative Befragung aller Wasserrechtsbehörden: Aufgrund der unterschiedlichen Landesgesetze in Deutschland erfolgte zunächst eine Recherche aller zuständigen Wasserbehörden. Diesen wurde anschließend ein Fragebogen per Post zugestellt. Beispielsweise wurde nach vorhandenen Anlagen, nach Einsatzmöglichkeiten und nach Einschränkungen bzw. Auflagen durch die Wasserbehörde gefragt. Mit der Befragung wurde somit einerseits eine Bestandsanalyse aller vorhandenen Anlagen durchgeführt, andererseits wurde die Akzeptanz der Wasserbehörden gegenüber WPSee erfasst.
  • Potentialanalyse: Mithilfe einer GIS-Analyse wurde der gesamte Wärmebedarf an deutschen Seen >50ha im Umkreis von 1000m dargestellt. Der Wärmebedarf wurde anhand des durchschnittlichen Wärmebedarfs in Deutschland ermittelt sowie auf Basis des Wärmebedarfs der Stadt Friedrichshafen und Bad Endorf, die sich in unmittelbarer Seenähe befinden.
  • Modellierung des komplexen Zusammenspiels der Hemmnisse: Auf Basis aktueller Ergebnisse der Innovationsforschung wurden in einer zusammenführenden Betrachtung die komplexen Strukturen der Hemmnisse modelliert. Die Modellierung auf der Mikro-, Meso- und Makroebene macht die Komplexität des Sachverhalts deutlich.
  • Ableitung des 3-Säulen-Handlungmodells: Anhand des Hemmnis-Modells konnten praxisorientierte Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, die nicht nur für WPSee gelten, sondern auch auf andere innovative Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien übertragen werden können.

Die ausgewählten Methoden aus den Sozialwissenschaften sowie aus den Naturwissenschaften ermöglichen eine interdisziplinäre Betrachtung der Forschungsfragen, wodurch die komplexen Sachverhalte fachübergreifend untersucht werden konnten.


Ergebnisse:

Die systematische Auswertung der Experteninterviews zeigt, dass neben möglichen Problemen mit der Wirtschaftlichkeit und neben dem geringen Bekanntheitsgrad auch das deutsche Wasserrecht den Einsatz von WPSee erschwert.
Die darauf aufbauende Befragung bei allen zuständigen Wasserbehörden in Deutschland (425) zeigt, dass trotz einer sehr hohen Rücklaufquote von 74% der Fragebögen lediglich 15 WPSee in Deutschland vorhanden sind. Gleichzeitig sind in den Verantwortungsbereichen von über 70% der Wasserbehörden keine Wärmepumpen an Oberflächengewässer (WPOFG =Fluss-, See-und Meerwasser) vorhanden, andererseits wurden dort bisher aber auch noch keine Wasserrechtsanträge gestellt. Lediglich bei 7 Anlagen wurde der Wasserrechtsantrag abgelehnt. Gründe hierfür waren beispielsweise der Einsatz von Frostschutzmitteln in Wasserschutzgebieten, fischerreirechtliche- und baurechtliche Auflagen sowie eine zu geringe Wasserkapazität, starke Wasserschwankungen und eine schlechte Wasserqualität. Die Ergebnisse der Befragung zeigen darüber hinaus, dass die Bewertungen und die Auflagen durch die Behörden sehr unterschiedlich und vielfältig sein können.

Mit der Potentialanalyse wurde in einem Umkreis von 1000 m um alle Seen > 50 ha ein jährlicher Wärmebedarf von insgesamt 58,73 TWh ermittelt; dies entspricht 4,6% des gesamten Wärmebedarfs in Deutschland. Würde diese Wärme nun mittels WPSee (JAZ 4) bereitgestellt, könnten auf diese Weise 8,58 Mio. t CO2-Äquivalente vermieden werden. Dies wiederum entspricht 1,13% der gesamten Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft in Deutschland.

Durch die Zusammenführung der Teilergebnisse, die durch Experteninterviews, Befragung und Potentialermittlung erzielt wurden, verbunden mit Erkenntnissen aus der aktuellen Innovationstheorie, wurde abschließend ein Hemmnis-Modell entwickelt. In diesem werden Zusammenhänge und Rückkopplungseffekte der einzelnen Hemmnisse, wie Wasserrecht, Wirtschaftlichkeit und Bekanntheitsgrad, aufgezeigt. Basierend auf diesen Auswertungen wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die auf eine verlässliche Förderpolitik und transparente, einheitliche Bewilligungsverfahren zielen, um so den Einsatz von WPSee auch in Deutschland weiter vorantreiben zu können.

Diese Dissertation zeigt auf, warum mit WPSee eine hocheffiziente und in der Schweiz schon lange erfolgreiche Technologie in Deutschland noch kaum erschlossen ist und keinesfalls ausreichend in Betracht gezogen wird. In der Arbeit werden exemplarisch und modellhaft die Schwierigkeiten aufgezeigt, die der Erschließung regenerativer Energiequellen grundsätzlich im Wege stehen. Denn nur ein Einblick in grundlegende Strukturen dieser Hemmnisse setzt Lösungsmöglichkeiten frei. Und nur wenn alle Ressourcen genützt werden, kann die Energiewende gelingen.


Die Dissertation ist 2018 im Springer Vieweg Verlag erschienen:

Thermische Seewassernutzung in Deutschland - Bestandsanalyse, Potential und Hemmnisse seewasserbetriebener Wärmepumpen
ISBN 978-3-658-20900-1

Sie kann direkt beim Verlag bezogen werden (externer Link): https://www.springer.com/de/book/9783658209001