Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt, die Fraunhofergesellschaft erarbeitet in einem einzigartigen Projekt eine Vision der „Morgenstadt“. Welche Bereiche stehen dabei im Fokus?

Die »Morgenstadt« stellt eines der zentralen Zukunftsprojekte der zukünftigen Hightech-Strategie 2020 der Bundesregierung dar. Ziel der Hightech-Strategie ist es dabei, einen Leitmarkt für nachhaltige Stadtsysteme der Zukunft zu schaffen, die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu vertiefen und die Rahmenbedingungen für Innovationen weiter zu verbessern. Zukunftsprojekte verfolgen dabei konkrete Ziele wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen über einen Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren.

Im Fokus stehen für die Institute der Fraunhofer Gesellschaft dabei die unterschiedlichen Bereiche, die unser Leben und unsere Umwelt beeinflussen: Energie, Wasser, Sicherheit, Produktion und Logistik, Gebäude und Governance.

Langfristiges Ziel des Projektes „Morgenstadt“ ist die Entwicklung eines offenen Systemforschungsansatzes gemeinsam mit weiteren Akteuren aus Industrie, Forschung, Kommunen und Gesellschaft für unterschiedliche Stadtsysteme und neue Konzepte für relevante Technologien, Prozesse und Wertschöpfungsmodele.

Klimaschutz und Preisentwicklung erzwingen neue Ansprüche an Energiebereitstellung und –effizienz. Wie könnten Konzepte für die Wärmeversorgung unserer Städte aussehen, die diese Vorgaben erfüllen?

Wärme muss wesentlich effizienter erzeugt und vor allem viel effizienter genutzt werden. Der erste Ansatz ist es, den Wärmebedarf so stark zu reduzieren wie möglich. Beispielsweise durch die energetische Sanierung von Gebäuden, aber auch durch neue effizientere Anlagentechnik, wie Niedertemperaturheizungsanlagen mit entsprechend geringen Vorlauftemperaturen. Auf der anderen Seite steht die Erzeugung. Hier gibt es unterschiedliche Konzepte, die wir verfolgen: Wir sehen in der zukünftigen vermehrten Nutzung von Wärmepumpen ein großes Potenzial. Für Einzelgebäude oder im ländlichen Raum kommen vermutlich dezentrale und individuelle Wärmepumpen zum Einsatz. Gerade in städtischen Räumen zeigt die Technologie der Fernwärmenutzung in Inselnetzen mit geringen Vorlauftemperaturen oder die sogenannte „kalte“ Fernwärme, Netze mit sehr geringen Vorlauftemperaturen, die z.B. auch durch Großwärmepumpen gespeist werden, ein großes Potenzial. Zudem lassen sich in diesen Netzen größere thermische Solaranlagen einbinden und vor allem Abwärme aus Prozessen effizient nutzen. In diesem Zusammenhang sollte auch über die sogenannte Kaskadennutzung der Wärme nachgedacht werden. In solchen Netzen sehen wir den Einsatz unterschiedlicher Technologien in einem Netz. Wie auch im Strombereich gilt es mehrere Erzeugungsarten in ein Netz zu integrieren und diese optimal steuern. Im Stromnetz ist die Spannung und Frequenz zu regeln, im Wärmenetzen der Volumenstrom, Druck und Temperatur. Schlussendlich sehen wir schon heute, wie stark sich die Sektoren Strom und Wärme annähern.

Urbane Räume sind ein zentrales Handlungsfeld der Energiepolitik, v.a. im Wärmesektor. Wie wird sich der Wärmebedarf vor dem Hintergrund von Verstädterung und Energiewende entwickeln?

Der Wärmebedarf wird natürlich sinken. Wir gehen davon aus, dass sich der Wärmebedarf bis 2050 zwischen 40 und 60 Prozent reduziert. Dennoch wird insbesondere der Gebäudebestand nicht ganz auf Passivhausweise sanierbar sein, so dass ein relativ hoher Anteil der erforderlichen Wärme immer noch regenerativ gedeckt werden muss. Zudem werden die heute installierten Anlagen, und diese sind zu über 50 Prozent noch immer fossile Anlagen, erst in 20 bis 25 Jahren erneuert werden, also nach 2030. 

Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie hier.

Das Interview führte Tony Krönert


Dr. Dietrich Schmidt

Dietrich Schmidt schloss 1997 sein Maschinenbaustudium an der Universität Kassel ab. Anschließend  schrieb er seine Doktorarbeit im Bereich Gebäudetechnik / Bauphysik an der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm an. Seitdem leitet er die Abteilung Energiesysteme des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik (IBP). Seine wissenschaftliche Arbeit ist auf den Bereich Energieeffizienz für Gebäude und ihre Versorgungssysteme fokussiert.