Kraftwerk und Tankstelle zugleich

Die Ziele waren hoch gesteckt: Es galt, in der Jahresbilanz mehr Photovoltaik-Energie zu gewin-nen, als zum Betrieb des Gebäudes inklusive der Mobilität erforderlich ist. Gleichzeitig sollte ein hoher Eigenstromanteil aus der PV-Anlage erreicht werden. So lauteten die Vorgabe für ein EnergiePLUS-Gebäude, das Prof. Dr. M. Norbert Fisch in Leonberg-Warmbronn nahe Stuttgart realisiert hat. Entstanden ist ein zweigeschossiges Wohnhaus mit 260 m2 Fläche, das seinen Be-wohnern hohen Wohnkomfort und exzellente Lebensqualität bietet – obwohl es als Experiment begonnen wurde und noch heute als „Experimentier-Labor“ genutzt wird. „Denn Forschungs- und Demonstrations-Potenzial gibt es immer“, erklärt Prof. Fisch – für den Visionär Ansporn und Herausforderung zugleich.

Das kommt nicht von ungefähr: Seit über 30 Jahren befasst sich der Experte mit der optimalen Kopplung von Bauphysik, Gebäude- und Energietechnik. All seine Erfahrung hat er in das Leonberger Wohnhaus einfließen lassen – und zugleich an die nächste Generation weitergegeben. Denn bewohnt wird das PlusEnergiehaus von Tochter Tanja Fisch samt Familie, die die Ideen ihres Vaters begeistert aufgenommen hat. Und die bereit war, das Haus als „Prüf-Labor“ zu bewohnen und ihre Erfahrungen in das Forschungsprojekt aktiv einzubringen. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt nämlich durch das von Prof. Fisch geleitete Institut für Gebäude und Solartechnik (IGS) an der TU Braunschweig. Hier werden alle Energieerzeuger und -verbraucherdaten messtechnisch online ausgewertet. Nur mit einem solch umfassenden Monitoring und auf Grundlage gesicherter Daten, lässt sich die „Performance“ des Gebäudes erfassen und analysieren sowie daraus Erfahrungen für den Betrieb von „Smart Buildings“ ableiten. Ziel ist die weitere Optimierung des Gebäudebetriebs, z.B. durch Stromlastmanagement zur Steigerung des Eigenstromanteils aus der 15 kWp-Photovoltaikanlage.

Energiekonzept: Eigenverbrauch des selbsterzeugten PV-Stroms

Grundvoraussetzung für das Energiekonzept ist die hohe Energieeffizienz des Gebäudes selbst, dessen Jahresheizwärmebedarf in den ersten drei Betriebsjahren im Mittel etwa 43 kWh/(m2a) betrug. Dies wird erreicht durch die kompakte, nach Süden ausgerichtete Gebäudeform, durch eine wärme- und luftdichte Gebäudehülle, durch Dreifach-Wärmeschutz-Verglasungen, deren physikalische Parameter den Himmelsrichtungen angepasst sind sowie durch eine kontrollierte Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung. Zum sommerlichen Wärmeschutz sind außenliegende Sonnenschutzlamellen vorhanden. Der Strombedarf wird durch eine optimierte Tageslichtnutzung und eine Gebäudetechnik minimiert, die eine größtmögliche Energieeffizienz abzielt. Zum Gesamtkonzept gehört auch die Integration von Elektro-Mobilität.

Im Fokus des Projekts steht die möglichst hohe Eigenstromnutzung aus dem Ertrag der Photovoltaikanlage, die aus 90 Modulen mit einer Peakleistung von 15 kW besteht und eine Modulfläche von 115 m2 umfasst. Um das solare Energieangebot mit dem Bedarf der Bewohner in Einklang zu bringen, werden alle energieintensiven Haushaltsgeräte – Waschmaschine, Trockner, Spülmaschine – soweit möglich nur bei Sonnenschein eingeschaltet, also zeitgleich mit dem Stromertrag aus der PV-Anlage genutzt. Außerdem wurden die Laufzeiten der Wärmepumpe nachts reduziert, dazu wurde das Pufferspeicher-Volumen (825 l und 700 l) größer als üblich gewählt. Zwei Batteriespeicher (7 und 20 kWh) helfen dabei, Energie vor allem für die Abendstunden zwischen zu speichern. Einen ähnlichen Zweck haben die Batterien der Elektrofahrzeuge, die von der Familie genutzt werden: ein E-Bike und ein E-Auto. Nach diesem Gesamtkonzept wird ein Maximum der selbsterzeugten Energie direkt im Gebäude genutzt. Erst wenn die Verbrauchs- und Speichermöglichkeiten erschöpft sind, werden Überschüsse in das öffentliche Netz eingespeist. Umgekehrt wird so der zusätzliche Strombedarf aus dem Netz verringert.

Heiztechnik mit Wärmepumpe

Die Wärmeerzeugung im Wohnhaus in Leonberg-Warmbronn erfolgt durch eine Sole-Wasser-Wärmepumpe, die als Wärmequelle drei Erdwärmesonden à 100 Metern nutzt. Gekoppelt ist die elektrische Wärmepumpe an zwei, in Serie geschaltete, Pufferspeicher mit ca. 825 und 700 Litern Fassungsvermögen. Der etwas größere Pufferspeicher ist in zwei Zonen aufgeteilt: Das obere Drittel mit Temperaturen von 50 bis 55 °C dient der Trinkwasserbereitung über einen externen Wärmeaustaucher  – an den Trinkwasser-Zapfstellen (Küche, Hauswirtschaftsraum) sind zur Nacherwärmung zusätzlich elektronisch geregelte Durchlauferhitzer installiert. Die unteren zwei Drittel des Pufferspeichers sowie der zweite Pufferspeicher mit Temperaturen zwischen 35 und 40 °C stehen für die Raumheizung zur Verfügung. Bei Ãœberschuss-Strom aus der PV-Anlage wird das gesamte Pufferspeichervolumen auf 55 °C erwärmt um den Betrieb der Wärmepumpe aus dem öffentlichen Stromnetz in der Nacht zu reduzieren. Sie speisen die Heizkreise für die Fußbodenheizung im gesamten Gebäude sowie die Heizkörper in den beiden Bädern. Die Fußbodenheizung aktiviert die thermischen Gebäudemassen – allen voran den Estrich – und garantiert Behaglichkeit: mit niedrigen Vorlauftemperaturen (unter 30 °C) und geringer Temperaturdifferenz (Bodenoberfläche ca. 24 bis 26 °C) zum umgebenden Raum.

Die Sole-Wasser-Wärmepumpe WPF 10 von Stiebel Eltron erreicht eine Jahresarbeitszahl (JAZ) von 3,95. „Entscheidend für den Erfolg des „EnergiePLUS-Konzeptes“ ist der optimale Betrieb der elektrischen Wärmepumpe“ (JAZ über 3,5). „Aufwendige Steuerungen und das Lastmanagement von z.B. Gefrier- und Kühlgeräten haben dagegen ein geringeres Potenzial den Eigenstrom-Nutzungsanteil zu steigern“, so Prof. Fisch. Um möglichst viel eigenerzeugten Strom aus der PV-Anlage im Haus zu nutzen, wurde die ursprüngliche Betriebsstrategie der Wärmepumpe geändert und ihre Laufzeit generell erhöht. Zum einen erfolgte eine Anhebung der Temperatur im unteren Pufferspeicher auf 60 °C, um mehr Warmwasser für Zeiten ohne solaren Eintrag zur Verfügung zu haben. Zum anderen wurde die Heizkurve der Fußbodenheizung angehoben und die Oberflächentemperatur um bis zu 2 Kelvin erhöht, um somit die Betriebszeiten der Wärmepumpe zu verlängern. Ziel beider Maßnahmen ist es, möglichst viel Wärme in den massiven Bauteilen des Gebäudes und im Puffer zu speichern – und diese dann zeitverzögert an den umgebenen Raum abzugeben. So wird vor allem der Temperaturabfall in den Abend- und Nachtstunden abgefedert, was wiederum den Betrieb der Wärmepumpen mit externem Netzstrom hinauszögert. Ganz wichtig ist diese Erkenntnis von Prof. Fisch: Der Wohnkomfort wird durch diese Änderungen in keiner Weise eingeschränkt.

Messungen belegen, dass so in den Sommermonaten deutlich über 50 Prozent des Stromverbrauchs über die Eigenstromproduktion gedeckt werden konnte. Während der Heizperiode sind es immerhin zwischen 10 und 15 Prozent.

Ergebnisse und Konsequenzen

Die Messergebnisse der ersten Betriebsjahre des EnergiePlus-Gebäudes in Leonberg-Warmbronn zeigen, dass das Konzept „Gebäude als Kraftwerk und Tankstelle“ sehr verlässlich funktioniert. Das Konzept Passivhaus, das den Fokus auf die Reduzierung des Heizwärmebedarfs legt, ist überholt – das Aktivhaus in EnergiePLUS ist die Zukunft. Hier ist das Ziel, den Gesamt-Energiebedarf durch Reduzierung und Erzeugung aus Erneuerbaren Energiequellen zu optimieren.  Das System „PV-Anlage und Wärmepumpe“ ist dabei eine wirtschaftliche Zukunftsoption.

In der Zukunft soll am Haus in Leonberg-Warmbronn sowie in Folgeprojekten die Steigerung des Eigenstromanteils realisiert werden. Dazu gehören der weitere Ausbau der thermischen Speichermassen, u.a. haben am IGS Entwicklungen zum Thema „Power-to-Heat“ begonnen bei denen der Überschussstrom in Feststoffen bis
800 °C (ähnlich den Nachtspeicherheizungen) in Wärme über einen längeren Zeitbereich zu speichern.

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